Reichtum in der Einfachheit. Friedrich Beckers zeitlos moderne Schmuckkunst

Datum: 
Donnerstag, 8. September 2022 - 19:00


Die Ausstellung des Deutschen Goldschmiedehauses zum 100sten Geburtstag und zum 25jährigen Todestag von Friedrich Becker (1922-1997) bietet die Gelegenheit, sich der Person dieses bedeutenden Künstlers zu erinnern und sein Werk retrospektiv wahrzunehmen. Becker gilt allgemein als Erfinder des kinetischen Schmucks; er war ein genialer Schmuckmacher, ein bemerkenswerter Silberschmied und Produktdesigner, ein mitreißender Pädagoge und ein sozial engagierter Mensch. Schmuck war für ihn eine Möglichkeit, mit anderen Menschen zu kommunizieren und diese mit Kreativität und Gestaltung bekannt zu machen.

Beckers Schmuckverständnis gründete auf geometrischem Minimalismus, Variabilität, Bewegung und Schwerelosigkeit. Damit gelang es ihm, Schmuck neu zu denken und diesen zu einem Gegenstand mit intellektuellem Anspruch aufzuwerten, statt weiter auf die Tradition schmückender Dekore und sinnlich betörender Edelsteine zu vertrauen. Handwerkliche Erfahrung und Gespür für Präzision standen ihm dabei ebenso zu Gebot wie die Lust am experimentellen Spiel.

Um Beckers Werdegang als einen Erneuerer der Schmuckkunst zu verstehen, muss man sich seiner beruflichen Herkunft als Mechaniker und Flugzeugbauer, sowie seiner fast fünfzigjährigen Zugehörigkeit und Verbundenheit mit seiner Wahlheimat Düsseldorf bewusst sein. Hier herrschte in den Jahrzehnten der unmittelbaren Nachkriegszeit durch die Akademie und die Präsenz wichtiger Galerien ein überaus kreatives Umfeld, in dem auch Becker sich verortete; nur mit dem Unterschied, dass Becker sich nicht als autonomer Künstler, sondern als Produktgestalter und Erzieher verstand und aus dieser Tätigkeit eine starke Verantwortung für seine Schüler und seine schmuckliebenden Kunden ableitete. Auch seine zahlreichen Silberschmiedearbeiten für die Kirche sind diesem Bestreben zuzuordnen.

Andererseits hatte Becker den Ehrgeiz, auch als Künstler „in his own right“ wahrgenommen zu werden, was sich in seinen zahlreichen, kinetischen Großobjekten manifestierte. Diese waren nicht bloß „Kunst am Bau“, sondern in der Regel freihängende oder freistehende Skulpturen, mit denen Becker auf der Basis physikalischer Kräfte Bewegungsabläufe inszenierte. Da solche Objekte infolge ihrer Größe für Museen weitgehend ungeeignet sind und Schmuckstücke zumeist in Privatbesitz verschwinden, ist Beckers Lebenswerk bedauerlicherweise heute öffentlich kaum mehr sichtbar. Umso mehr ist die jetzige Ausstellung zu begrüßen, die über die Wiederbegegnung mit Beckers Arbeiten hinaus Fragen nach der Definition freier und angewandter Kunst und ihrer Bewertung in unserer Gesellschaft aufwirft.

Rüdiger Joppien


Referent: Dr. Rüdiger Joppien, Oberkustos a.D. Kunstgewerbemuseum Hamburg

Kosten: 
Der Eintritt ist frei.